Filme 2016
E MER GENCY in cinema Medizin, Ethik & Recht im Film
Im Luchs-Kino werden Filme mit medizinrechtlicher oder -ethischer Problematik gezeigt und anschließend diskutiert.
Nähere Informationen: https://blogs.urz.uni-halle.de/mrecinema/
Ethische und rechtliche Fragen spielen immer wieder eine wichtige Rolle in klinischer Praxis und medizinischer Forschung. Betroffen davon sind nicht nur einzelne Patienten; medizinische Entwicklungen und die sich daraus ergebenden Kontexte im Zusammenspiel mit Ethik und Recht haben Einfluss auf unsere gesamte Gesellschaft. Insofern werden die im Spannungsfeld der drei Disziplinen aufgeworfenen Aspekte sehr kontrovers diskutiert.
Die Filmreihe nimmt die Darstellung ethischer und rechtlicher Fragestellungen im Kontext der Medizin im Spielfilm zum Anlass, an diese Diskussionen anzuknüpfen. Thematisiert werden dabei Aspekte der Pränataldiagnostik und Ethik in der Psychiatrie ebenso wie Zusammenhänge mit Trans*identität, Sterbehilfe, Palliativpflege und Organspende. Wir wollen gemeinsam mit Ihnen über diese wichtigen Fragen ins Gespräch kommen und sehen, wie das Kino einen wichtigen Diskussionsbeitrag zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen leisten kann.
Alle Filme werden von Expert*innen und Praktiker*innen durch eine Einführung
und eine anschließende Diskussionsrunde begleitet.
24 Wochen
Am Beginn stand ein Zeitungsartikel über Spätabtreibung, erzählte Anne Zohra Berrached. Julia Jentsch spielt diese Frau, die die schwierige Entscheidung treffen muss, an ihrer Seite agiert Bjarne Mädel. „24 Wochen“ ist ein Spielfilm. Die Realität schwingt jedoch mit: Echte Ärzte und Geburtshelferinnen wirken mit, gedreht am realen Arbeitsplatz in Halle (Saale). Vor der Kamera taten sie praktisch das, was sie professionell sonst auch machen. Zur Handlung: Astrid lebt und liebt ihre Arbeit als Kabarettistin, ihr Lebensgefährte und Manager Markus unterstützt sie besonnen und liebevoll. Doch als die zwei ihr zweites Kind erwarten, wird ihr Leben aus der Bahn geworfen: Nach einer Routineuntersuchung wird bekannt, dass das Baby schwer krank ist. Der Befund trifft sie wie das blinde Schicksal, das sie auf sich nehmen müssen. Gemeinsam sind sie willens, hiermit umzugehen. Doch im Verlauf von Heilungsplänen, Ratschlägen und Prognosen, stößt ihre Bindung an ihre Grenzen. Die Ermittlung nach der richtigen Antwort stellt scheinbar alles in Frage. Desto mehr Zeit vergeht, je klarer erkennen sie, dass nichts und niemand ihnen die Entscheidung abnehmen kann. Deutsches Kino, wie es sein sollte: voll mit Leben, aufrecht und mit liebevoller Ehrlichkeit erzählt. Regisseurin Anne Zohra Berrached findet Bilder für eine sprichwörtliche Entscheidungs-Bedrängnis, der mit dem Informationsträger Sprache nicht beizukommen ist. Die brillanten Hauptdarsteller Julia Jentsch und Bjarne Mädel ziehen uns in Bann. 24 WOCHEN ist gewiss kein leichter Film, und gleichwohl bleibt er unterhaltsam. Er geht unter die Haut und trifft unmittelbar das Herz (Berlinale 2016: Gilde Filmpreis, Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern 2016: NDR-Regiepreis, Förderpreis der DEFA-Stiftung, Publikumspreis
Referent*innen für die Veranstaltung am 19.10.:
Dr. med Adam Gasiorek-Wiens, M.mel. ist Facharzt für Geburtshilfe und Gynäkologie, Pränataldiagnostiker und Mitbegründer des „Zentrums für Pränataldiagnostik und Humangenetik Kudamm-199“ in Berlin, des „Interdisziplinären Forums Pränataldiagnostik“ und Vorsitzender des meris e.V.
Dipl. Psych. Anne Achtenhagen berät in der staatlich anerkannten Beratungsstelle donum vitae in Berlin vorwiegend Paare zu Fragen der Pränataldiagnostik.Alles, was wir geben mussten
Hailsham ist ein nur auf den ersten Blick normales englisches Internat. Abgeschottet von der Außenwelt und regelmäßigen medizinischen Untersuchungen unterworfen, wachsen hier Kinder heran, die später nur einem Zweck dienen: der Spende von Organen. Kathy, Ruth und Tommy sind enge Freunde und bleiben es, obwohl sowohl Kathy als auch Ruth in Tommy verliebt sind. Erst viele Jahre später, als Ruth nach ihrer letzten Spende bereits verstorben ist, suchen Tommy und Kathy nach einer Möglichkeit, ihre Liebe etwas länger leben zu dürfen, einen kurzen Aufschub zu erhalten…
„Alles, was wir geben mussten“ zeigt eine Gesellschaft, in der heute Unvorstellbares zur Normalität geworden ist: Menschen werden gezielt „produziert“, um Organe zu gewinnen. Der Film schafft es vor diesem Hintergrund, eine ebenso traurige wie äußerst schöne Liebesgeschichte zu erzählen, die nicht im Kitsch versinkt, sondern mit viel Empathie und Feingefühl tiefgreifende ethische Fragen nach der Würde des Menschen und seiner Selbstbestimmung aufwirft.
Referent:
Prof. Dr. Hans Lilie ist Gründungsprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und Medizinrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Mitglied des dortigen Direktoriums des Interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentrums Medizin-Ethik-Recht. Er ist zudem Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer.Ein ganzes halbes Jahr
Louisa Clarke verliert ihren Job als Kellnerin und nimmt notgedrungen eine Stelle als Pflegerin an. Sie kümmert sich um Will Traynor, der seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmt ist und sich ihr gegenüber zunächst kühl und abweisend verhält. Mit der Zeit nähern sich beide aber immer mehr einander an und Louisa erfährt, dass Will sich eigentlich das Leben nehmen wollte. Seine Mutter versprach ihm, seinem Wunsch nach Sterbehilfe unter der Bedingung nachzukommen, die Umsetzung seiner Entscheidung um 6 Monate aufzuschieben. Louisa unternimmt daraufhin mit Will eine Reise, um ihn seinen Lebenswillen neu entdecken zu lassen.
Sowohl der Film „Ein ganzes halbes Jahr“ als auch das dem Film zugrundeliegende Buch der Autorin Jojo Moyes sind nicht unumstritten. Neben einer klischeehaften und verkürzten Darstellung von Behinderung werbe der Film geradezu für die Sterbehilfe, so seine Kritiker*innen. Wir nehmen den Film daher zum Anlass, über rechtliche und ethische Fragen der Sterbehilfe zu diskutieren, wobei hinterfragt werden soll, welche Bilder von Sterbehilfe heute medial vermittelt werden.
Referent:
Prof. Dr. Henning Rosenau ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht sowie Geschäftsführender Direktor des Interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentrums Medizin-Ethik-Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Fragen des Biorechts und der Bioethik, insbesondere im Bezug auf Sterbehilfe und Sterbebegleitung.
Liebe
Anne und Georges, sie ehemalige Klavierlehrerin, er ehemals Professor, beide um die 80, leben – auf Selbstständigkeit bedacht – in ihrer großbürgerlichen Wohnung. Am Morgen nach einem Konzertbesuch erleidet Anne einen Schlaganfall und kehrt nach einer missglückten Operation halbseitig gelähmt und pflegebedürftig nach Hause zurück. Georges kümmert sich aufopferungsvoll um sie, aber Anne weist ihn zurück und hegt Suizidgedanken. Georges verspricht Anne, sie weiter zu pflegen, beide schotten sich zunehmend von der Außenwelt ab. Als sich jedoch Annes Zustand weiter verschlechtert, wird auch Georges immer hilfloser. Haneke inszeniert die Geschichte um seine zwei Protagonisten kammerspielartig und geradezu schmerzvoll nah an Annes zunehmender Hilflosigkeit und Verzweiflung. Haneke schafft das Wunder, kühl, ja geradezu trocken, und doch emphatisch und einfühlsam von Annes Sterben und ihrer Liebe zu Georges zu erzählen.
Referentin:
Prof. Dr. Gabriele Meyer leitet das Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zu ihrem Forschungsgebiet gehören Fragestellungen des höheren Lebensalters, hier insbesondere der Versorgung und Pflege von Menschen mit Demenz in der Häuslichkeit und im Pflegeheim, Mobilität und Gelenkkontrakturen, freiheitsentziehende Maßnahmen und ruhigstellende Medikamente.The Danish Girl
Zu Beginn der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts lebt die dänische Malerin Gerda Wegener mit ihrem Mann, dem Künstler Einar Wegener, in Kopenhagen. Als eines ihrer Modelle ausfällt, springt Einar als weibliches Modell ein und geht so in seiner Rolle auf, dass Gerda ihr einen Namen gibt: Lili Elbe. Einar kehrt immer wieder in seine Rolle als Lili zurück und lebt sie zunehmend auch in der Öffentlichkeit aus. Bald wird Einar klar, dass er von nun an dauerhaft als Frau leben möchte, er unterzieht sich einer geschlechtsangleichenden Operation.
„The Danish Girl“ erzählt die Geschichte der dänischen Malerin Lili Elbe sehr einfühlsam und – nicht zuletzt aufgrund des herausragenden und beeindruckenden Spiels Eddie Redmaynes – mitreißend. Der Film lädt auf außergewöhnliche Weise ein, über den Begriff von Geschlecht und Sexualität zu diskutieren und die gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung heute zu hinterfragen.
Mit Einführung und Diskussion - Referentin: Prof. Dr. Livia Prüll ist Professorin für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universitätsmedizin Mainz. Zu ihren vielseitigen Forschungsgebieten gehören medizinethische und –historische Fragestellungen in Bezug auf Transidentität und Transsexualität. Sie ist u. a. Autorin des Buches „Trans* im Glück – Geschlechtsangleichung als Chance“, erschienen 2016 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.Uhrwerk Orange
Im England einer unbestimmten Zukunft treiben Alex und seine Bande ihr Unwesen. Alex liebt Gewalt und schlägt aus reiner Freude und dem Fehlen jeglicher moralischer Empfindung heraus wehrlose Opfer zusammen, um sie auszurauben. Beim Einbruch in das Haus eines Schriftstellers wird dieser von der Bande brutal zusammengeschlagen und seine Frau vergewaltigt. Weil seine Freunde ihn verraten, wird Alex kurz darauf festgenommen. Während der Haft unterzieht Alex sich einer neuartigen Methode, der Aversionstherapie. Alex wird konditioniert, bereits beim Gedanken an Gewalt Übelkeit zu empfinden. Wieder in Freiheit, trifft er erneut auf den Schriftsteller, der sich politisch gegen die Aversionstherapie einsetzt. Aus Rache und um Alex zu einem politischen Opfer zu machen, drängt dieser Alex in den Selbstmord.
Kubricks Verfilmung des gleichnamigen Romanes von Anthony Burgess wirft grundlegende Fragen auf. Wiegt die Sicherheit anderer höher als die individuelle Entscheidungsfreiheit? Was ist moralische Freiheit überhaupt wert? Wie weit darf die Gesellschaft in die individuelle Freiheit eingreifen?
Referentin:
PD Dr. Maike Rotzoll ist Medizinhistorikerin und Fachärztin für Psychiatrie sowie kommissarische Leiterin des Institutes für Geschichte und Ethik der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie forscht insbesondere zu medizinhistorischen Fragen der Psychiatrie mit Schwerpunkten zur Psychiatrie in der NS-Zeit und der Psychiatriereform.